Atelierblätter 2015

Im Atelier der Künstlerin Kathrin Racz schreibe ich wöchentlich ein Atelierblatt. Hoch oben auf der Galerie, von uns der Adlerhorst genannt,  richte ich mich ein. Den ersten Satz zu packen, der mir durch den Kopf geht wenn ich zu schreiben anfange,  ist meine einzige Vorgabe. Ausgehend von diesem Satz, überrasche ich mich immer wieder selber. Bei einer Tasse Tee lese ich Kathrin das Entstandene vor. Manchmal sagt sie dann Wörter wie: "Hoppla, äbe gsehsch, uiui, aha, da heimers..." und ich weiss Bescheid.

Für unseren ersten Atelieranlass hat Kathrin Racz jedem Text von mir eines ihrer Bilder gegenübergestellt. Es entstanden überraschende Paarungen!

 

Sehnsuchtsort Atelier

 

Heute will ich vom Atelier erzählen, von diesem Ort, diesem Raum, wohin ich seit Jahren immer wiederkehre, in regelmässigen Abständen, wöchent­lich also eigentlich, manchmal auch häufiger. Manchmal lasse ich ihn etwas länger hinter mir, diesen friedlichen Platz der Inspiration und Anregung, des Austauschs, der Diskussion, der Un­terhaltung. Diesen Ort des Lachens und Weinens und Schimpfens und Spottens. In Ferienzeiten, wenn ich unterwegs bin, denke ich wenig an ihn. Vergesse ihn beinahe. Es kommt aber vor, dass er auch dann als inneres Bild vor mir ersteht, wenn ich in München bin oder Salzburg, in einer Ga­lerie, einem Museum, in Berlin in Büchern schmökere, in Basel Bilder betrachte, Texte lese in Zürich. Und auch wenn ich ganz allein durch Berglandschaften streife und mich glücklich fühle, ist er mir manchmal plötzlich nah, der Raum. Weil ich dann oft in Sätzen denke, die ich be­halten möchte. Ich notiere nichts beim Laufen. Taucht aber der Raum in meinem Kopf auf, bilden sich die Sätze leichter und verlieren sich weni­ger schnell. Dann merke ich, er ist als kleiner Sehnsuchtsort in mir ver­ankert, als Ort der Stille, der Konzentration, des bei mir Seins. Die Erin­nerung an ihn...

C-Dur

 

Ich habe mir gedacht, dass sich der Nebel später lichten würde. Ich habe die neue Mütze aus dem Schrank geholt, Jacke, Schal und Regenhosen angezogen und die wasserabstossenden Laufschuhe. Ich habe ein wenig Geld eingesteckt, Papiernastücher, mein Handy, weil ich in letzter Zeit oft denke, dass man wissen soll wer ich bin, wenn mir etwas zustossen sollte. Ich habe mir noch einen Apfel und eine Banane geschnappt in der Kü­che, habe alles im Nierentäschli verstaut, Marke Wolfskin, beige. Dann habe ich noch einen Lippenstift ein­gesteckt und einen Kamm. Ich habe die Türe zweimal abgeschlossen, wie ich es mache, seit ich hier wohne. Die Zeiten sind vorbei, als ich weg­ging, ohne mein Haus oder meinen Wagen abzuschliessen. Draussen lärmt die Kehrichtabfuhr. Die Männer, die hinten auf dem Tritt­brett stehen, starren mich an. Einer zieht an einem Stumpen, der andere schaut stumpf und etwas blöde, denke ich und schäme mich nicht. Als ich um die Ecke biege, wird es still. Das Wasser des Flusses ist bleigrau, kleine Wellen manchmal, ganz regelmässig. Es ist sehr kalt. Die Fische springen nicht mehr. Ich denke darüber nach, ob Fische nur springen, wenn es warm ist. Obwohl es doch immer noch Mücken hat. Es ist niemand da, den ich fragen könnte und ich gehe weiter, beschleunige meinen Schritt ein wenig, denn mir ist kühl. Beim grünen Haus auch niemand. Es nützt nichts, langsamer zu gehen, mein Nachbar zeigt sich nicht. Die paar wenigen Male im Jahr, wo wir uns be­gegnen, werden wir beide etwas nervös, er wippt auf den Fersen, sagt, dass er mich lange nicht gesehen habe, leider, fügt er an und lächelt und wippt weiter. Und ich sage...

Blankes Eis

 

Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss. Er hörte das harte Klick-Klack und schlug den Mantelkragen hoch. Wind war aufgekommen und es war eisig kalt. Er zog die Mütze tief ins Gesicht, vergrub die Hände in den Manteltaschen und marschierte los. Unter seinen Schuhen knirschte der Schnee. Er hatte dem Kind gute Nacht gesagt und es in den Schlaf gesungen. Es wusste nicht, dass er morgen nicht mehr da sein würde. Davon hatte er ihm nichts gesagt. Einen Moment hatte er es in Erwägung gezogen und sich dann dagegen entschieden. Sollte sie es ihm sagen. Sollte sie damit fertig werden, wenn es weinte. Das Kind. Er wusste genau, dass es weinen würde und der Gedanke daran verschaffte ihm eine leichte Genugtuung. Er folgte mit langen Schritten der Krümmung der Strasse, sah die ersten Strassenlampen der Vorstadt, betrat die kleine gebogene Brücke im Park. In der Mitte blieb er stehen, am höchsten Punkt, der nicht hoch war, und schaute in den künstlich angelegten Weiher darunter, der jetzt zugefroren war. Das Eis sah staubig aus, grau. Er wünschte sich einen Besen, um es zu säubern. Er sehnte sich nach einer klaren, spiegelblanken Fläche, wollte ihre Augen suchen darin, wollte das Sommerspiel wiederholen, wenn sie auf der Brücke stehen geblieben waren, Hand in Hand und sich hinunter beugten, um den Blick des andern in der Bewegung des Wassers einzufangen. Doch es war nicht Sommer. Dunkelheit umfing ihn. Und nach der Dunkelheit kam die Kälte und kroch unter seinen Mantel, in seine Ärmel, glitt seinen Beinen entlang und setzte sich an seinen Füssen fest. Er verliess rasch...

Oder nicht?

 

Man weiss ja nicht, wie sie es gemeint hat, höre ich die Frau zu ihrem Mann sagen und in ihrer Stimme schwingt etwas Fragendes, Unsicheres mit, als wüsste er, ihr Mann, vielleicht eine Antwort, die sie beruhigen könnte. Die ihr erlaubt, nicht mehr darüber nachdenken zu müssen, wie sie es gemeint haben könnte. Während sie langsam und sorgfältig ihre Worte spricht, zupft sie seinen linken Hemdkragen zurecht, der unter dem Pullover stecken geblieben ist und wischt ihm ein unsichtbares Stäubchen von der Jacke und sagt dann: Oder? Und schaut ihn an und als nichts kommt, wendet sie sich zum Fenster und wischt mit der Handkante ein Guckloch in die von der Feuchtigkeit angelaufene Scheibe und schaut hinaus. Der Mann starrt unentwegt geradeaus, haarscharf am Kopf des Schofförs vorbei. Starrt durch die Windschutzscheibe und ich stelle mir vor, dass er die Lippen zusammengepresst und die Stirn in Falten gelegt hat. Er hat seine Hände in die Jackentaschen geschoben, die Füsse fest auf den Boden gestellt, die groben Schuhe dicht nebeneinander. Seine Knie sind aneinander gedrückt und bleiben wie festgeklebt, selbst wenn der Bus heftig ruckt oder eine enge Kurve nimmt. Manchmal schüttelt er... 

 

Es lässt sich alles protokollieren

 

Letzten Freitag ging ich nach Ringoldswil, sagt meine Cousine zu mir und rührt in einem Farbtopf mit weisser Farbe. Ich sass allein draussen und ich wollte den Compi mitnehmen zum Schreiben und den Fotoapparat, da habe ich gemerkt, dass ich alles zu Hause vergessen hatte und als ich Krokusse fotografieren wollte, hatte ich das Handy in der Wohnung gelassen. Und das einzige Künstlerische, das ich gemacht habe, war ein Geräuscheprotokoll. Das hab ich gemacht, draussen. Und weisst du, Barbara, ich hab gedacht, du musst wohl auf facebook, weil Anlässe und so Zeug vom Schreiben läuft alles auch dort. Du musst halt einen andern Namen wählen, vielleicht Barbara Hero oder Barbara Carré. Rindisbacher geht gar nicht. Wir schweigen. Jede arbeitet. Auf einmal nimmt meine Cousine den Ge­sprächsfaden wieder auf. Schnell protokolliere ich, fast kann ich ihr nicht folgen: Weisst du, das Leseclübli, von dem ich dir erzählte, zuerst war es nur so, dass jede Bücher mitnahm und sagte, was sie ge­lesen hatte und die andern sagten, das nehm ich, was auch wirtschaft­lich gut war, da man nicht alles kaufen musste. Zum Teil lesen wir gute Bücher, die Besprechungen sind dann vielleicht etwas zu wenig seriös. Ich habe mir keine Überlegungen gemacht und nichts notiert, das hätte ich sollen. Also das Buch hat mich noch deprimiert, das war noch so schwierig. Wie der sich nicht wehren konnte gegen diese Frau. Und er verliebt sich doch in die andere und... 

Himbeer und Zwetschge

 

Zuoberst lag der hellblaue Dildo. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er ihr den zurückgeben würde. Sie musste lachen als sie die Taschen entgegennahm, zwei waren es, grosse. Es gelang ihr nicht, das Lachen zurückzuhalten, obschon sie sah, dass es nicht ansteckend war. Über sein Gesicht liefen Tränen, wieder einmal, sie schaute weg. Ihr Blick fiel auf ein Plakat mit Joghurt essenden Älplern älteren Semesters, die bärtig lachend auf einer Holzbank vor ihrer Alphütte sassen und ihre Becher auslöffelten. Himbeer und Zwetschge. Er schnäuzte sich laut und sie nahm ihr Lachen zurück als sie ihn jetzt ansah und fragte, wie es ihm gehe. Sein Gesicht war gerötet, wie immer, wenn er weinte und seine noch feuchten Augen wichen ihrem Blick aus. Seine Schultern zuckten, er schniefte nochmals und seufzte laut auf. Sie hatte die beiden Taschen zwischen ihre Beine geklemmt, die Hände in die Manteltaschen gesteckt und wartete seine Antwort ab. Als er sich eine Zigarette anzündete, wusste sie, dass er über dem Berg war. Sie schob die Taschen näher zueinander, überlegte einen Moment, dass man sie ihr leicht zwischen den Beinen wegziehen konnte. Sie konnte sich kaum erinnern, was sie bei ihm in der Wohnung gelassen hatte. Es war zu lange her. Dass es so viel war... 

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