Tag 1: Reisegeschichten


Reise ans Meer - ein Anfang

 

Rosa fuhr los. In Gedanken tat sie das schon seit zwei Wochen. Immer wieder stellte sie sich vor, wie sie all ihre Kleider sorgfältig in den Koffer packt und von der Checkliste Punkt für Punkt abstreicht, bis vom Bikini über das Buch bis zum Tennisracket alles verstaut ist.

Dann war es endlich soweit. Sie gab dem Kaktus auf dem Fensterbrett in ihrer Leseecke noch ein bisschen Wasser – auch das hatte sie geplant – und kontrollierte, ob sie ihr Velo abgeschlossen hatte. Manchmal vergass sie das, wenn sie abends von der Arbeit nach Hause kam und gedanklich bereits beim Abendessen war.

Als Rosa im vollbepackten Auto sass und wartete, bis sich das Garagentor geöffnet hatte, warf sie einen Blick auf die Uhr. Punkt sechs. Gleich würden die Nachrichten beginnen. Etwa um sieben wollte sie am Gotthard sein, damit sie vor dem Stau das Südportal erreichte. Rosa fuhr los. Auf der Autobahn den Alpen entgegen – sie freute sich auf Cappuccino und Croissant im Tessin. Was wohl Miro denken würde, wenn er sie jetzt so sehen könnte, so frei und unabhängig? Das Ende war ihnen nicht gelungen. Rosa glaubte nicht an Aussagen wie «Wir haben uns im Guten getrennt» oder «Wir sind jetzt Freunde». Nach der Trennung vor zwei Jahren hatte sie den Kontakt radikal abgebrochen. Trotzdem war sie über sein Leben bestens informiert. Miro heiratete schon ein knappes Jahr danach und wurde kurz darauf Vater. Ein Junge – er hatte sich immer ein Mädchen gewünscht.

«Es liegen uns aktuell keine Meldungen über grössere Verkehrsbehinderungen vor», wurde im Radio gemeldet. Rosa näherte sich dem Gotthard-Nordportal.


Aufwärmübung

 

Von meinem Platz aus, sehe ich einen stacheligen Kaktus. Jedes Mal, wenn ich ihn betrachte, freue ich mich ab seiner Schönheit. Tapfer hält er längere Trockenzeiten aus, aber auch Momente des ewigen Ozeans, wenn ich ihm wieder etwas zu viel Wasser gegeben habe. Mich erstaunt die graziöse, anmutige Haltung im Mix mit seiner lieblichen und warmen Ausstrahlung. Sehe ich ihn an, werde ich zufrieden und träume von warmen Orten.

 

Suchende – Eine Suchende, die sich nach dem Ende des Suchens sehnt

 

In sehnlichstem Wunsch, Freiheit zu finden, packe ich meine Wanderschuhe. Mit Vorfreude im Herzen, mache ich mich auf den Weg in die Berge. Angekommen am Fusse meines majestätischen Ziels, beginne ich den Aufstieg. Kurz über Asphalt, gehen meine Füsse vorwiegend über Kies, Wiesen- und Waldboden. Mein Puls steigt, meine Anstrengung wird grösser. Doch die unglaubliche Schönheit der Natur lässt mich immer weitergehen. Meine Augen erkennen glitzernde, tiefblaue Bergseen, schneebedeckte Gipfel, weit hinten eine Gletscherzunge und direkt vor meinen Füssen eine Wiese in voller Farbenpracht. Meine Ohren hören Vogelgezwitscher, das leise und beruhigende Rauschen eines Bachs und die Melodie des sanften Windes, der durch die Bäume streift. Staunend bleibe ich stehen, atme tief ein und aus und spüre, wie ich mich allmählich entspanne. Meine Gedanken werden ruhiger, mein Herz leichter. Ich merke, wie ich meinem Ziel näherkomme. Meinem Ziel, Freiheit zu fühlen.

 

Nach einer kurzen Rast geht die Reise weiter. Während das Tal immer weiter wegrückt, kommt der Gipfel stetig näher. Motiviert schreite ich vorwärts und nach reichlich weiteren Schritten, habe ich mein Tagesziel erreicht. Ich setze mich auf einen grossen Stein und blicke ins Tal. Stolz und Erleichterung ergreifen mich, als ich sehe, was ich geschafft habe. Hier oben, alleine in dieser anmutigen Berglandschaft, fühle ich mich stark und schwach zugleich. Mein Hochmut schwindet und die Demut steigt. Hier oben wird mein Herz warm, meine Gedanken ruhiger und ich spüre die Freiheit, die ich suchte. Die Freiheit, die mich fliegen lässt, wie ein Adler im Wind und mir die Weitsicht und Geduld für meine Pläne schenkt. Die Freiheit, die mir sagt, dass ich genüge und mich lebensfroh macht. Die Freiheit, die mich Luftsprünge machen, mich jubeln und laut schreien lässt. Und die Freiheit, die mich zufrieden macht.


Magnolienbaum

 

Von meinem Schreibtisch aus sehe ich einen Magnolienbaum; die sonst so wunderschönen weissen Blüten sind verfroren. Es geschah wohl schon vor einigen Tagen, als die Nächte plötzlich so kalt wurden, nachdem die frühlingshaften Tage unzählige Keime zu Knospen werden liessen und zum Blühen brachten. Schade! Ich freute mich jeweils, wenn der Baum zu seiner vollen Pracht gedieh, die Blüten sich täglich etwas weiter öffneten und das Weiss und das Rosa um die Wette strahlten, Frühling für Frühling.

 

Reiseziel vom Jura nach Hause

 

Ich sitze vor „meinem“ pc (mein Mann benutzt ihn meistens) und denke über die Bilder nach, die ich mit geschlossenen Augen vor mir hatte. Natürlich, sind es Bilder, die ich vor dem Schliessen der Augen vor mir hatte, die ich einfach nicht wegdenken kann. So ist mein Reiseziel vom Jura nach Hause. Restliche SCHNEESTREIFEN (sie formen kaum mehr das Wort „AARAU“, wie seit Jahren üblich) im Dunst lassen mich erahnen, dass in nicht allzu weiter Ferne sich der Chasseral befindet. Gerne würde ich jetzt durch diese naturbelassene Gegend wandern und mir vom Wind die Haare zerzausen lassen (es bläst meistens ein steifer Wind dort oben). Vor der Jurakette zieht ein bewaldeter Hügelzug links weg. Vor dem Frienisberg stellt sich ein grosser gelber Kran in die Quere, so scheint es; Zeichen, dass noch mehr gebaut wird und wir noch mehr zusammenrücken müssen. Der Arm des gelben Riesen zeigt auf drei HOCHHAUSTÜRME, wie wenn er sagen möchte, „noch mehr von diesen“! Mein Blick fällt auf die HANDYANTENNE unweit von mir, und ich denke an all die sms, mms, whatsapp ect, die in den letzten Tagen verschickt worden sind und so manchen verängstigt oder getröstet haben. 2 knallrote SONNENSTOREN erhaschen meinen Blick, schön ist es für die, welche wenigstens das schöne Wetter auf dem Balkon geniessen können. Eigentlich wäre es ja das perfekte Reisewetter, sonnig und angenehm warm, ja sogar ein paar Skitage könnte man sich gönnen… Ich entdecke einen HAUSROTSCHWANZ auf dem Dachgiebel unserer Nachbarn. Ja, seit einiger Zeit kenne ich den auch, nicht nur vom Sehen auch vom Gesang. Neben meinem pc liegt ein Buch: die KOSMOS VOGELSTIMMEN. Ich bin zuhause angekommen.


Die Reise

 

Noch etwas kühl ist's auf dem Balkon - Morgenstunden! Wie herrlich wäre die Aussicht von diesem strahlend blauen Himmel herab! Diese Ruhe überall! Wolkenlos, schweben und träumen!

 

Mit Pantoffeln, Pyjama und Winterjacke bewaffnet rufe ich meinen fliegenden Perserteppich herbei und ordne darauf den Balkon, den Telefonhörer und den grossen Seekorb um mich herum. "Persi, los!" Erst ganz vorsichtig - ich bin schon lange nicht mehr geflogen - steure ich den Teppich auf Probefahrt.

 

Im Schritttempo über die Dorfstrasse, vorbei an gelben Forsythien und der grossen, rot-weissen Schweizerfahne, hinein in den dunkelgrünen Wald. Den Trampelweg hinauf zur Passhöhe, dann vorsichtig nach links abbiegen in Richtung Waldweiher. Zwischen Vogelgezwitscher ein Blick nach Gattikon. Weiter: vorbei an riesigem verzweigtem Wurzelgewächs alter Tannen. Sonnenstrahlen auf Blättern vereinzelter Laubbäume zwischen den Tannen leuchten neonfarben. Etwas später: die Lichtung mit dem Waldweiher. Herrlich liegt er da! Übersäht von tanzenden Lichtpunkten! Dazwischen jagt ein Enterich erbost seiner Dame hinterher und scheucht sie ans Ufer. Ok. Jetzt noch einige Kurven um die Stämme herum üben und los geht’s, hinauf ins frühlingshelle Blau des Himmels.

 

Phu, etwas mulmig ist mir schon in dieser Höh. Ich klammere mich ans Balkongeländer und bestaune den Sihlwald und die Dörfer um den Zürichsee aus zwei Kilometer Höhendistanz. Ein leises Krächzen irritiert mich. Ala, der Rabe aus meinem Schrebergarten, hat sich frech zu mir gesellt und versucht soeben unter reklamierendem Geschwätz meine Kiste zu öffnen. "Moin, moin" rufe ich in seine Richtung und blinzle ihm frech zu. "Krwaak!", brummelt er etwas genervt und erinnert sich dann doch seiner guten Manieren. "Gut", lenke ich ein, "lass uns frühstücken … macht eh mehr Spass zu Zweit. - Bedingung ist aber, dass Du mir nichts klaust, sonst ist's nix mit Frühstück und Teppichfliegen!" Ala beruhigt sich und wartet in gebührendem Abstand neben der Kiste. Er hat sein Ziel erreicht: er hat meine Aufmerksamkeit. Schliesslich ist ER ja "Herr der Lüfte" und kann mein Fliegen nicht einfach mir nichts, dir nichts auf sich sitzen lassen. "Allerdings", wende ich ein, "bist Du auch nicht schlecht darin, mir die neu gesäten Samen aus den Beeten zu picken und Gefässdeckel zu verstecken…"Ala tut schwerhörig, tapst verlegen auf der Stelle und wartet dann fröhlich grinsend darauf, ein extra von mir für ihn aufgetischtes Frühstück zu erhalten. - Man muss sich das einmal vorstellen! - Persi hat sich unterdessen zwischen zwei Baumwipfel beim Flugplatz Schänis gehängt.

 

"Was machst Du eigentlich sonst so den ganz Tag?", frage ich Ala etwas später, meinen Schoggigipfel kauend. Der Rabe lässt mich natürlich raten und führt stattdessen zu meinem Erstaunen mit seinem rechten Krallenfuss geschickt und ohne etwas zu verschütten den Kaffeebecher zu seinem Schnabel. "Gut, dann nicht." Doch ein paar Fragen hätte ich noch. Neuer Versuch: "Und wie weit fliegst Du normalerweise pro Tag?", frage ich interessiert. Ala legt den Kopf schief, schaut mir direkt in die Augen und tippelt zu meinem Seekorb. Dort legt er die Kralle auf den Verschluss. Ich öffne den Deckel und Ala zeigt mit dem Schnabel auf mein Wunderbuch. Ich lege es vor ihn hin. Er öffnet es geschickt und tippt auf das Wort "Italien". "Soso", meine ich etwas zweifelnd: "Du fliegst also tatsächlich an einem Tag bis nach Italien und wieder zurück?" Ala nickt entschieden. "Und wo möchtest Du gerne sonst einmal hin?", bohre ich weiter, erfreut über unsere neue Verständigungsmöglichkeit. Der Rabe blättert im Buch und zeigt auf das Wort "Bazar". "Whow", entfährt es mir, "so ein richtiger orientalischer Bazar meinst Du … oder eher ein chinesischer, auf dem Schlangen und Kröten als Arzneimittel angeboten werden …?" Bei dieser Beschreibung krächst und flattert mein Gesell hell entsetzt. Gut, habe ich mein Balkongeländer mitgenommen, sonst wäre ich vor lauter Lachen vom Teppich gekugelt. "Also weiter", grinse ich ihn an und Ala zeigt etwas zögerlich auf "Malaysia". "Gute Wahl!", freue ich mich. "Da können wir hin! Aber Du musst den Perser fliegen lernen, damit ich zwischendurch etwas schlafen kann, sonst ist das zu weit." Ala tanzt vor Freude in die Luft und wäre vor Übermut fast einen Meter hinter dem Teppich abgestürzt.

 

Einige Flugversuche später ist Ala bereit. Zuvor hatte er Persi versehentlich zu einem Looping verleitet, bei welchem sich dieser jedoch netterweise daran erinnerte, sich zusammenzurollen, damit ich nicht mit Sack und Pack auf die Erde stürzte. "Sag mal, Ala", neckte ich ihn, "Du weisst aber schon, dass die giftgrünen Schlangen in den Snake-Tempeln keine grossen, fressbaren Regenwürmer sind?" Ala zupft etwas verlegen an seinem Gefieder herum. Nachdem ich ihn mit Erzählungen von Zimtbäumen, Sternfrüchten, Stoffmärkten und Schmetterlingsparks ablenke, sitzt er bereits zutraulich und interessiert auf meinem Knie. "Also los Persi! Auf, nach Kuala Lumpur!"


Fast wie eine Reise

 

Ich beginne die Reise mit der Gewissheit zurück zu kehren. Der Aufbruch ist kein Abschied. Trotzdem braucht es ein wenig Überwindung. Es ist ja ein Aufbruch ins Unbekannte. Die Neugier und die Lust auf Neuland rütteln an der eigenen Bequemlichkeit und der vertrauten Behaglichkeit.

 

Die Morgenluft ist angenehm und der See liegt ruhig vor mir. Die Sonne ist bereits aufgegangen, hält sich aber noch verborgen hinter dem Berg, der kühl und schattig am gegenüberliegenden Ufer liegt. Es wird alles seinen gewohnten Gang nehmen.

 

Mit dem Ziel im Blick tauche ich ein. Das Wasser ist frisch aber nicht unangenehm. Der erste Schritt ist getan, die Richtung eingeschlagen. Mit ruhigen Zügen schwimme ich neuen Ufern entgegen. Kein Wind, keine Wellen, keine Boote. Nun bin ich alleine auf mich gestellt, aber ich kann meinen Kräften vertrauen. Die Aufregung des Aufbruchs hat sich gelegt. Die regelmässigen Bewegungen brauchen meine Aufmerksamkeit nicht mehr. Ich geniesse die Einsamkeit und die Stille über dem See.

 

Das Ufer ist endlich zum Greifen nahe. Meine Gedanken fliegen bereits voraus. Was wird mich dort erwarten? Die freudige Erregung verleitet mich zu kräftigeren Zügen. Doch ich halte mich zurück, um mich nicht so kurz vor dem Ziel zu erschöpfen.

 

Das Neuland ist erreicht. Mein Blick schweift erkundend umher und erntet, was ich nicht gesät habe. Was werde ich alles von diesem Ort mitnehmen? Doch erst nach meiner Rückkehr werde ich die Gewissheit haben, was mich an ihm gereizt und sich mir von ihm eingeprägt hat.

 

Schon trete ich die Rückreise wieder an. In die Abschiedsstimmung mischt sich der Gedanke an die erneut vor mir liegende Anstrengung. Ich bin mir aber sicher, dass sie mir die Erinnerung an dieses Erlebnis nicht trüben wird.

 

Zuhause wieder aus dem Wasser steigend bin ich stolz und glücklich, das Wagnis dieser Reise auf mich genommen zu haben. Ich kehre erfrischt in die alte, vertraute Welt zurück.


Reiseziel: Trudes Garten

 

7 Dinge: Zelt, Ball-Löffel-Malzeug-Tasse-Portemmonnaie-Engelsset

 

Als erstes erscheinst du, Garten Trudens, klein, belichtet.

Und das Zelt will unbedingt mit; alt, blaugrün, vielleicht schwer zum Tragen. Soll ich im Garten übernachten?... Und da dieser Schaumgummiball abgewetzt und unternehmungslustig quetschst du dich in den Schlafsack, um ja nicht vergessen zu werden. Ein silberner Löffel drängt sich auf. Er schwebt durch die Luft und ich höre ihn beinahe singen und klingen und blitzen im Mondlicht.

Das Malzeug, der Kasten klappt auf, Pinsel und Farben, Papier und Schwamm. „Nimm uns mit“, raunt es und tönt schon fast ein bisschen verschwörerisch an mein Ohr. Als würde er bald los tanzen, beschreibt der Pinsel Kapriolen in die Luft.

Welch Zauber mag hier geistern?

Die Tasse gross und aus weissem Porzellan stellt sich dazu. Selbstbewusst und ohne jegliche Angst zu zerschellen stellt sie sich zum Gepäck. Wasser will sie fassen. Wasser für meine durstigen Lippen und Wasser für den kecken Pinsel und Wasser für die Nacht…so sagt sie: für die Nacht. Hat sie Durst die Nacht?... Mein grünes Portemonnaie tut sich so was von unentbehrlich. Klipp-klapp der silberne Verschluss; vom Inhalt nicht die Rede… Etwas, das man in der Hand hält und sich dabei fühlt, als könnte man erobern die kleine Welt.

Warum ist Trudes Garten ein Nachtgarten heute?

Ich greife in meine Jackentasche, da ist versteckt ein Kartenset mit Engeln. Unbedingt wollten sie mitkommen, die Engel, in Trudes kleinen Nachtschattengarten.

Es ist dunkel und alle Gegenstände sind einfach da, weil sie da sein wollen. Der Schlafsack will nicht zum Schlafen einladen. Der Ball will nicht zum Spielen einladen. Der Löffel will nicht Essen löffeln. Das Malzeug ist einfach da. Die Tasse will nicht Trinken fassen. Das Portemonnaie ist völlig unbrauchbar. Das Engelsset. Das Engelsset zuckt und ruckt, springt und hüpft und rumort. Die Engel haben Lust zu spielen. Sie tanzen, sie lachen, sie singen, sie wachen.

Trudes Garten ist ihr Fest.

 


Aufwärmübung

 

Ich wähle unser kleines Trampolin als Gegenstand aus. Es steht vor meinem Lieblingssessel im Wohnzimmer und dient mir gleichzeitig als Fussschemel, wenn ich es mir im Sessel bequem mache.

 

Rhythmus / Automatismus / Distanz gewinnen

 

Es schwingt. Ich schwinge. Wir schwingen. Mein Körper hüpft auf und ab. Mein Atem geht aus und ein.

 

Für diese Bewegungen gebe ich keine bewussten Befehle, sie laufen ganz automatisch. Sie bringen mich weiter, obwohl sie mich nicht weiter bringen und ich an Ort und Stelle bleibe. Nur mein Geist wandert, während meine Seele in der Schwebe hängt. Ich lasse sie baumeln – zwischen auf und ab, zwischen ein und aus!

 

So geht das eine ganze Weile, bis mein Geist vom Wandern erfrischt wieder bei sich selbst einkehrt. Ich höre auf zu wippen. Ich steige vom Trampolin und setze mich in meinen Sessel.

 

Mein Körper, mein Geist und meine Seele ruhen. Ich bin zufrieden.


Bergtour

 

Ich sitze auf dem Sitzplatz vor meinem Häuschen und lasse die Landschaft auf mich einwirken. Hier unten im Tal ist es warm, viel zu warm für die Jahreszeit. Die Berge vor mir sind aber noch weiss; fast wie im Winter. Das Morgenberghorn finde ich besonders schön. Vielleicht weil ich schon drei Mal auf dem Gipfel war? Vor zwei Jahren fragte mich die Tochter, ob ich sie und ihre Kollegin auf das Morgenberghorn begleiten könnte. Ja klar machte ich das. Es war im Herbst, das Wetter war überhaupt nicht ideal, der Nebel verhüllte den Gipfel des Berges so, dass wir ihn beim Start gar nicht sehen konnten. Trotzdem starteten wir die Tour; wir hatten die Hoffnung, dass sich der Nebel gegen den Nachmittag verziehen werde. Der Aufstieg war steil und kräftezehrend. Die Landschaft um uns herum konnten wir nur in einem begrenzten Umfeld sehen. Ungefähr in der Hälfte des Aufstieges machten wir bei der Alp «Brunni» halt. Die Sennerin servierte uns einen Kaffee und gab uns noch einige Typs für den Aufstieg. Wir hofften immer noch, dass sich der Nebel auflöst und wir die grandiose Aussicht auf den Thunersee und die ganze Umgebung geniessen können. Daraus wurde leider nichts. Oben angekommen war der Nebel immer noch dicht und verhüllte uns das Panorama vor unseren Augen. Einmal, ganz kurz war das Blau des Sees sichtbar, aber nur einige Augenblicke.

 

Oft stellt man sich das Ziel einer Reise in Gedanken wunderschön vor. Wenn das Ziel dann nicht hält was wir uns erhofft hatten, kann sich Enttäuschung breit machen. Vielleicht sollten wir uns das Ziel einer Reise gar nicht zu konkret vorstellen? Sei dies im Leben, sei dies auf einer Bergtour. Es kann sein, dass wir einfach besser warten, was uns im Ziel erwartet. Es ist einfach nicht immer sichtbar, was auf uns zukommt. Trotzdem sind Reisen oder Touren spannend, weil wir uns auf etwas unbekanntes einlassen können. Ist es im Leben nicht auch so, dass nicht alles planbar ist? Die Zukunft ist doch auch oft nicht «sichtbar». Das ist ganz sicher auch besser so.


Osterausflug

 

So, noch ein paar der wunderbaren Schoggihasen mit Pralinefüllung, Nougat-Eier aus unserer Bäckerei im Dorf. Mmmmh wie ist das lecker. Jetzt verpackt in einer Schachtel, oben noch in die Reisetasche gelegt. Osterausflug nach Feldkirchen in Kärnten Österreich.

 

Da wohnen noch zwei Cousinen von mir, so viele Erinnerungen, Erlebnisse, Schönes aber auch Trauriges. Die Füsse ausgestreckt geniesse ich die Zugreise an die Landesgrenzen Schweiz – Lichtenstein – Österreich. Zügig fahren wir, der Lokomotivführer, andere Mitreisende und ich weiter, durch die verschiedenen Bundesländer, in der Schweiz Kantone genannt. Die Gebiete Voralberg, Tirol, Kärnten fliegen an uns vorbei. Südlich gelegen mit herzlichen, humorvollen mit herzwärme ausgestatte Bewohner. Vielleicht liegt meine Freude an „Worten“ an dem Zustand, dass mein Geburtsort nahe am Wörtersee gelegen ist. Meine Cousinen holen mich mit viel wohltuender Freude und Herzlichkeit am Bahnhof ab. Ein Gefühl wie Rückkehr nach Hause.

 

Am Samstag vor Ostern besuchen wir die Abendmesse. Mit dabei haben wir in einem Korb verpackt viele einheimische Delikatessen, welche im Anschluss an den Gottesdienst gesegnet werden. Meine Schoggihasen haben ihren Segen schon in der Backstube erhalten. Ostern und Feldkirchen unbeschreiblich schön, voll warmer herzlicher Gefühle, die ihre Kostbarkeit auch nach vielen Jahren nicht verlieren. Bib bib bib der Wecker holt mich aus einem schönen Traum. Leider alles nur geträumt. Gerade in einer etwas anderen Zeit sind Träume wichtig. Nichts ist so schlecht, dass es nicht für etwas gut ist. Oder ist Ostern nicht symbolisch für neues Leben?


Die Gedanken sind frei

 

Die Zeiten stehen auf zuhause bleiben, aber zuhause ist nur ein Begriff: die eigene Wohnung, die Ferienwohnung, der Geburtsort. Wir sitzen vielleicht in der eigenen Wohnung auf dem Sofa, in Gedanken sind wir aber ganz woanders, und das ergeht mir in den letzten Wochen häufig so. Mit den Sonnenstrahlen und dem wehenden Syltergras auf meiner Terrasse sehe ich mich im Norden Deutschlands. Der Wind, die Sonne und das Meer erfüllen meine Gedanken und ich fühle mich frei, kann tief durchatmen und vergesse die Isolation und die fehlenden sozialen Kontakte. Erinnerungen an meine Kindheit, meine Ferien mit meinen Kindern an der Nordsee bringen ein Lächeln in mein Gesicht und der Alltag ist gerettet. Egal, dass mein Radius im Moment klein ist, die Gedanken und Bilder vor den Augen kann kein Virus einschränken, die Gedanken sind frei.


Hausdach und Freiheit

 

Von der Frühlingssonne gewärmt wird das grosse Hausdach mit den roten Ziegeln. Gerne möchte ich es so schnell erklimmen können wie ein Vogel. Gerade hat eine Taube den Giebel als „Landeplatz“ so elegant angeflogen und geniesst nun die Weitsicht, die Wärme, die Ruhe. So stolz und fein wartet sie auf den Moment wo sie ihre Flügel wieder spannen und mit Eleganz und Schnelligkeit weiterfliegen tut, mit dem Wind ohne grosse Anstrengung mit ein/zwei Flügelschlägen ist sie schon fast aus Sichtweite. Da gesellt sich eine zweite Taube dazu und schliesst sich der Reise an. Wo geht es jetzt hin – sie gleiten zu diesem Dach mit dem Storchennest auf dem Kamin. Das ist interessant. Ob sich die beiden Tauben da in die Nähe der so grossen Störche hinsetzen werden. Ja sie tun es und beobachten was die Störche in ihren langen Schnäbeln und fliegend so anschleppen. Holz, Stroh, Erdballen – wohl um das Nest auszubessern. Schwerarbeit das stellen die Tauben fest – und auch ihr Fressen müssen die Störche ja selber suchen. Wie haben wir es doch gut – wir können zurückkehren in unser Taubenhaus, da wird Futter und Wasser parat gestellt. Etwas Freiheit büssen wir ein, denn abends werden wir eingesperrt, aber morgen früh wird das kleine Türchen wieder geöffnet.


Bücherregal

 

Das Gleichgewicht der Welt, Der kleine Prinz, Momo, Stolz und Vorurteil, Das Parfum, Schuld und Sühne, 1984

 

Ich habe Zeit. Keine Termine, keine Arbeit, keine Verpflichtung. Mein Telefon habe ich nur für Notfälle, heute ist keiner. Sport mache ich nie und die Hausarbeit muss warten, immer. Ich habe Zeit, kann physisch nicht auf Reisen, ich brauche dich. Mein Bücherregal füllt die ganze Wand – und die ist gross. Jedes Buch habe ich mindestens einmal gelesen, aber keines so oft wie dich. Nur Momo ist dicht hinter dir. Ich sortiere nicht nach Alphabet und nicht nach Farbe, um dich zu finden, müssen meine Augen reisen. Ein schöneres Cover gab es nur für Jane Austen, doch da schaue ich drüber hinweg. Du forderst meine Sinne, löst Gerüche aus, das schafft nicht einmal das Parfum. Du bist tragisch wie Schuld und Sühne, aktuell wie 1984, schön wie der kleine Prinz. Fast, nur fast, nimmt es das Gleichgewicht der Welt mit dir auf. Ich finde dich ganz rechts am Rand, drittes Tablar von oben, dich, mein Lieblingsbuch. Ich bleibe da und du, du nimmst mich mit.


Der Rosengarten des kleinen Prinzen

 

Die Wüste durchquerte ich und auf hohe spitze Berge kletterte ich und auf den Gipfeln sah ich wieder Gipfel und nach vielen Gipfeln dann eine Ebene, eine Graslandschaft, durch die friedlich ein schmaler Bach zog.

In der Ferne liess sich ein quadratisches Mauerwerk erkennen, sandfarben wie das trockene Gras in der Ebene.

Ich folgte dem fröhlich plätschernden Bächlein bis an die Mauer, an deren östlichem Ende ich eine schmale Holztür entdeckte. Sie war einen Spaltbreit geöffnet, ich schob sie auf und betrat einen Garten voller Rosen.

Sie wuchsen überall, in Beeten, kletterten am Mauerwerk entlang und schlangen sich sogar um das Tischbein des verrosteten, schnörkelig verzierten Schmiedeeisentisch in der Mitte des Gartens. Auf dem Tisch lag eine Gartenschere und Briefpapier. Wo ist der Gärtner?

Inmitten der üppigen Pracht der Rosen in ihren unterschiedlichsten Grössen, Formen, roten, weissen, rosa, orangefarbenen Rosen, entdeckte ich eine leere Blumenvase, deren Anwesenheit mir fast überflüssig vorkam.

Ich nahm meine Reisenhängematte aus dem Rucksack und hängte sie zwischen zwei hohen Bäumen auf, mein buntes Batiktuch legte ich mir sanft über die Beine, als ich mich gemütlich in der Hängematte einrichtete. Ich liess den Blick nochmals über die duftenden farbigen Rosen gleiten, dann nahm ich mein spannendes Buch hervor und begann zu lesen.


Buch – Buchrücken- Rückenschmerzen- Schmerzmittel- Mittwert- Wertschöpfung-Schöpfungsgeschichte

 

Mit der Bibel unter dem Arm mache ich mich auf, um einen Platz in der Stille zu suchen.

 

Viele Buchstaben, Worte und Sätze reihen sich aneinander und bilden Konstrukte, die mich zum Nachdenken anregen. Mit den Erinnerungen aus meinem Leben kann ich einige Situationen im Nachhinein besser verstehen; es kann auch das Gegenteil passieren. Aber das Hauptmerk gilt der Wertschätzung des Menschen, - der Menschen, - den Völker, - der ganzen Menschheit.

 

Die Gedanken, die sich aus den philosophischen und geistlichen Texten bei mir bilden, vermischen sich mit den Tatsachen aus den vergangenen Tagen.

 

Zack - der Alltag ist trotz Kurzarbeit wieder präsent. Laborresultate müssten noch interpretiert und in Worte als Endergebnis gefasst werden. Mittelwerte und Wiederholbarkeit von Testen ausdividiert werden - trotz Arbeitsunterbruch. Nach der Ebbe gibt es immer eine Flut. Und nach der Krise gibt es wieder ein Leben mit alltäglichem und gewohntem Rhythmus. Oder kommt es schlimmer? Wirbeln die Wellen der Flut den gepressten Sand so auf, dass wir die Orientierung total verlieren und es viel Zeit braucht um den Horizont wieder zu sehen? Den Gedanken daran überfordert mich, da ich mich von der Arbeitslast der vergangenen Wochen noch nicht vollends erholt habe.

 

Die Kopfschmerzen nehmen zu und ich muss mit einem Schmerzmittel Abhilfe schaffen.

 

Abhilfe will ich auch meinen pessimistischen Gedanken schaffen. Ich will mich weiterhin mit dem Wort Gottes befassen und Trost finden. Hiobs Geschichte lässt Hoffnung in mir aufsteigen.

 

Die Bank wird nach einer Weile unbequem und ich habe nebst Kopfschmerzen auch Rückenschmerzen. Zunehmend habe ich den Drang wieder nach Hause zu gehen. In mein trautes Heim, zu meinen Lieben, zu meinen Büchern und Gegenständen, die mir wichtig sind und die Erinnerungen, die damit verbunden sind, mir helfen, die erfundene Wirklichkeit besser auszuhalten.

 

Bücher geben mir Sicherheit, Worte gepackt in Leinen, Papier und Karton stehen stoisch im Büchergestell und hüten viele gute gedankenanregende Impulse. Freudig stelle ich mein Buch zu seinen Gleichgesinnten und freue mich am nächsten Tag weiter zu lesen und zu philosophieren. Bis bald.


Eintrag im Reisetagebuch

 

Ich sass auf einem Stein und hörte den Flügelschlag einer Ente. Gestern hatte ich mich entschieden an einem Schreibprojekt mitzuwirken: Schreiben Tag für Tag. Ich hätte nicht gedacht, dass ich bereits am ersten Tag scheitern würde. Das Beschreiben eines Gegenstandes ging noch flott von der Hand. Doch dann folgten drei verhängnisvolle Minuten mit geschlossenen Augen. Je mehr ich versuchte an nichts zu denken, desto mehr Gedanken schossen mir durch den Kopf. Je mehr ich versuchte an etwas zu denken, desto mehr entschwand, woran ich denken wollte. Also blieb ich sitzen. Ich blieb sitzen auf und mit der Frage, warum sich Gedanken, beim Versuch an nichts zu denken, vervielfältigen. Ich sitze und sehe wie die Ente landet.


Eine Zeitreise

 

Der Schokoladenkuchen war noch warm und duftete herrlich; am liebsten hätte ich mir schon ein Stückchen gegönnt, bevor es auf die Reise ging. Ich packte ihn sorgfältig ein, schliesslich sollte er unversehrt und seinem süssen Charakter würdig ans Ziel gelangen. Um sicher zu gehen, wohin mich dieser Trip führen sollte, blätterte ich nochmals in unserem Familienalbum, entdeckte das schwarz-weiss Photo, entnahm es der Geschichte, löste es aus der vergilbten Seite. Ich schaute auf die Uhr, wusste: nun ist es soweit, ich bin bereit, die Zeiger so zu stellen, dass ich irgendwo auf der Zeitachse die Augenblicke zurückdrehen konnte. Also fasste ich Mut, berührte zuerst das kleine, dann das grosse Gangwerk...

 

...Musik erfüllte den Raum, indem sich die Tänzerinnen anmutig bewegten: sie formten einen Kreis, hielten sich an den Händen, schufen gemeinsam eine ruhig fliessende Welle, um sich daraufhin im Allegro ausdrucksstark der Freude und Leidenschaft ihres Tanzes hinzugeben. Fasziniert beobachtete ich die Schönheit ihrer Bewegungen, alles zerfloss in eins - so auch ich mit diesem magischen Moment. Die Leichtigkeit des Seins, unsere Verbundenheit, der Schokoduft, die berauschenden Klänge: tanzend schien ich durch Raum und Zeit zu schweben. Doch die Sehnsucht, IHN nochmals leibhaftig zu sehen, liess mich nochmals die Zeiger zurückdrehen...

 

...Und aus dem Schweigen quoll

Die Antwort schon empor -

Klang der Liebe übervoll...“

 

Die Hand der Lehrerin führte die Kreide mit leichtem Druck über die Wandtafel und doch quietschte diese sosehr, dass sich die Schüler die Ohren zuhielten.

„Was könnte dieser Reim bedeuten?“

Ein fragender Blick in die ratlose Runde...ich sitze neben meinem Bruder im Klassenzimmer und denke über diese lieblich klingende Poesie nach, während Luca erklärt: „Es ist besser zu schweigen, wenn man die Antwort nicht weiss!“ Ein Gelächter geht durch die Reihen und damit ist die philosophische Diskussion heiter eröffnet...

 

Die Pausenglocke läutet; ich flüstere meinem Bruder ins Ohr, er lächelt - genauso wie auf dem Photo - und zieht mich mit sich nach draussen, wo wir den Schokokuchen auspacken; er duftet herrlich.


Reiseziel „Tunnel“

 

Schwarz, Stein, Beklemmend, Stille, Einsamkeit, Feucht, Angst

 

Mein Reiseziel ist nah. Ich muss nicht aus dem Haus. Es genügt, Radio und Fernseher einzuschalten und die Corona Todesstatistiken, Fallzahlen, Meinungen von Fachpersonal, Laien, Politikern und Verschwörungstheoretikern, Schutzmasken ja oder nein und, und, und…. aufzusaugen.


Reise-Geschichte

 

Obwohl wir zur Zeit in unserem Leben eingeschränkt sind, nehme ich mir die Freiheit, eine Reise mit dem Fahrrad zu unternehmen.

 

Kaum auf dem Velo fahre ich durch den Wald und verspüre Leben. Man riecht den Frühling überall – manchmal riecht er stark, dieser Bärlauch und die Gedanken schweifen ab zum Kochen, zum Essen.

Aber bevor man den kulinarischen Genüssen nachgibt, fahre ich weiter und entdecke die ersten zarten Blumen wie die Buschwindröschen – auch hier verliere ich mich wieder in Gedanken an meine Jugendzeit – Gedanken folgen, wie schnell die Reise von der Jugend bis jetzt verlief… - unglaublich. Wie eine Fahrt im Wald geprägt von Sonnen und Schattenseiten geht das Leben von Tag zu Tag weiter, vorbei.

 

Ich bin dankbar, nach einer Stunde Fahrt an der frischen Luft wieder den Einschränkungen, die uns empfohlen werden, mit voller Überzeugung nachzugehen.


Der Bismark Turm

 

Angeln Quern Scheersberg,  Nur + auch,  Befreier,  Kriegstreiber,  Wiesen,  Tische,  Raben

 

Angelnd und hangelnd quern wir den Scheersberg.

Vor dem turm steht ein orangegrüner zwerg.

„Kennst du den befreier, Otto von Bismarkt,

Zu dessen gedenken der turm steht im park.

Der die schlesen und hosteiner erlöst von der dänen-joch.

Ein politischer ränkespieler und kriegstreiber jedoch.“

„War’s einer mit hellem gehrock und breiter ehrenbinde?

Der dort sass, an dem tische, unter der linde?“

„Wenn es so war, dann war es gewesen so.“

Der zwerg zwirbelt den bart und pfupft aus dem Po.

„Der hat einen spruch in die welt gesetzt,

Drüber haben sich die spätren gefetzt.

‚Wir sind nicht auf dieser welt für genuss und glücklichkeit,

Sondern um zu tun unsere schuldigkeit.’

Die jungen leute haben den edlen spruch gerügt.

Am ende des streits wurde nur und auch eingefügt.“

„Oh danke vielmal für deine klugen worte.

Aber das schicksal drängt uns zum nächsten orte.“

Wir eilen über die grünen wiesen

Mit schritten so gross wie die von riesen.

In den bäumen am rande krätzen die raben.

Ob auch sie geschichte und geschichten haben?


Eigentlich wollte ich ja Gartenarbeit machen. Aber wie immer, wenn man sich was vornimmt, wird nichts draus. So stolpere ich jetzt durch den Wald, vielleicht finde ich noch ein paar schöne Osterkräutchen. Heute ist Sonntag, am Samstag müssen sie fertig getrocknet sein, damit wir sie auf die Eier kleben können. Diese dann in Zwiebelschalenwasser kochen, wunderschön sieht das aus am Schluss.

 

Statt also mit dem Schlauch die darbenden Pflanzen zu bewässern, laufe ich jetzt durch den Wald, ziellos. Ziellos? Kann sein, dass ich mein Ziel nicht kenne, aber irgendwo in mir drin ist es als Ziel formuliert. Ganz klar. Sonst wäre das Leben auch wirklich nicht auszuhalten, wenn es keinen Sinn, kein Ziel gäbe. Und wenn alles nur Einbildung ist? Erst recht nicht auszuhalten, lieber nicht dran denken.

 

Auch nicht dran denken, wofür ich diesen Text noch gebrauchen könnte, zu welchem Zweck, zu welchem Ziel? Ich weiß es ja schon, schließlich bin ich die Autorin, und trotz Entspannung und Leeren des Kopfes – hahaha – ist doch dieser Ort, zu dem ich unterwegs bin, nicht zufällig vor meinem inneren Auge aufgetaucht. Als erstes.

 

Als erstes. So vernagelt und verbohrt bin ich, wenn ich ans Schreiben denke, dass mir immer nur der zentrale Ort einfällt, an dem vor langer, langer Zeit einmal geplant war eine Handlung beginnen zu lassen. Und jetzt kaue ich seit Jahren daran herum und hab die Freiheit verloren. Die Freiheit zu schreiben was ich will. Immer muss sich alles um diesen dummen Regionalkrimi drehen.

 

Selbst wenn er gut werden sollte, das geht doch nicht, immer nur an einem Geschenen rumzufeilen, als gäbe es keine anderen Geschichten, die erzählt werden wollen. Nicht von mir? Warum nicht von mir? Was ist so schlecht an mir, dass die Geschichten lieber zu anderen Schreiberlingen gehen? Stimmt ja gar nicht, ganz viele kommen immer bei mir vorbei. Dann fehlt mir Papier, dann fehlt mir der Stift, um sie aufzuschreiben, und wenn ich alles dabei habe, mach ich es doch nicht. Wird mir schon wieder einfallen. Oder auch nicht. Dann hat die Geschichte nicht genug Konsistenz um Gestalt anzunehmen. Wie die morphogenetischen Felder bei Rupert Sheldrake.

 

Na ja, wär schon schade, wenn sie nur deshalb nicht erzählt würden, weil ich mich dauernd der einen Geschichte verpflichtet fühle. Bevor ich die fertig hab, darf ich nichts anderes erzählen. So ein Scheiß. Na gut, zwischendurch, wenn ich einen Anlass hatte, konnte ich schon was anderes schreiben. Die Luthergeschichte zum Beispiel.

 

Wo war ich grade? Wo bin ich grade? Ach so, bei der Schiller-Eiche. Voll in der Geschichte drin, na gut, dann sei es eben so, dann geh ich halt das Stück weiter. Ein großer grauer Stein liegt in der Böschung, halb von Moos überwuchert, in der hellen Sonne, alles trocken, so lange hat es nicht geregnet. Ich wette, wenn ich das Moos jetzt anheben und mit nach Hause nehmen würde, wäre unten kein Erdklumpen dran, kein Wurm, nichts. Perfekt für Osterkörbchen, sogar mitten im Wohnzimmer. Ist sowieso nur einer da außer mir, der sich an Natur im Wohnzimmer stören kann. Stören wird. Na gut, vielleicht verzichte ich ihm zuliebe. Wahrscheinlicher aber ist, dass ich micht trainiere, ein dickes Fell mir wachsen zu lassen. Das muss ich sowieso, sonst fahre ich immer weiter mit angezogener Handbremse. Schade um die schöne Lebenszeit, die schöne Kraft, die gute Laune. Was tut man sich alles an.

 

Wo war ich, wo bin ich? Immer noch bei der Schiller-Eiche, gerade mal drei Meter weiter gekommen. Jetzt aber los. Die Harke muss ich noch unterbringen, warum hab ich die denn dabei? Die hätte ich für den Garten gebraucht, aber doch nicht hier. Na, egal, zurück geh ich jetzt auch nicht mehr, mein Ziel ist ja bekannt, eine Sache von einer halben Stunde, und ob ich da jetzt mit einer Harke in der Hand hingeh oder mit einem Luftballon, ist doch wurscht. Oder mit gar nichts. Komisches Gefühl, mit gar nichts zu gehen. Immer hab ich irgendwie eine Tasche dabei, eine Jacke mit Taschen an oder so. Warum eigentlich? Ach so, die Osterkräutchen. Genau.

 

Jetzt geh endlich weiter, sonst kommst du nie an. Gut. Ich setze mich in Bewegung. Wo zieht es mich denn hin? Ich muss ja gar nicht, zu dem Ziel gehen, was mir als erstes eingefallen ist. Ach doch, es ist einfach schön da. Ich gehe über den staubtrockenen Schotterweg, Wald ist heutzutage auch sehr gezähmte Natur. Nicht wirklich Natur. Bäume, Pflanzen, Tiere, Gestein und alles, ja, aber so wohl geordnet, dass ich jederzeit allein darin herumlaufen kann, ohne mich zu fürchten. Die Bäume sind noch kahl, obwohl schon April ist. War ja auch lange kalt. Ob sich die Natur jetzt ein bisschen erholt? Also, das, was wir als Natur bezeichnen und ertragen können. Im Mittelalter, wenn ich mal die Romantik weglasse, war der Wald ein wirlich gefährlicher Ort. Es gab wilde Tiere und Wegelagerer. Gut, das kann ich jetzt in meiner Phantasie abspielen, bin Gott sei Dank nicht wirklich davon betroffen. Zivilisation hat schon was Gutes, irgendwie.

 

Wenn bloß die Insekten nicht alle gestorben wären. Im Januar haben wir noch Witze darüber gemacht, welche Autoscheibe wohl so breit wäre, dass sie auch garantiert jede Mücke erwischt, die herumfliegt. Jetzt könnte ich heulen. Irgendwie geht es mir erst jetzt richtig nahe, dass nur noch so wenig Gebrumm da ist, und ich hab Angst. Es ist keine ideologische Schlacht, die da geschlagen werden muss, es geht wirklich um was.

 

Wo bin ich, ach ja, jetzt schon da, wo es links vom Schotterweg abgeht. Wenn man weiß, wo die Stelle ist. Die ersten zwei Mal bin ich dran vorbei gelaufen, ich hab aber auch wirklich ein Problem, mir Orte zu merken. Sogar diagnostiziert. Haha. Tut das was zur Sache? Kann ich ja wieder streichen.

 

Mein Gott, ist das anstrengend, dabei bin ich erst zwanzig Minuten unterwegs, so, jetzt geh ich hier lins runter, trockene Zweige knacken unter meinen Schuhen, trockenes Laub raschelt, und da fliegt mir doch tatsächlich so eine blöde Brummfliege ins Gesicht, die könnte doch auch wirklich mal woanders sein, wenn es schon so wenige von ihnen gibt heutzutage. Heutzutage. Nicht aufgepasst, aua, ein Ast wischt mir übers Gesicht, Gott sei Dank nicht ins Auge.

 

So, jetzt hier an diesem kleinen Baumstamm festhalten, es ist aber auch wirklich steil, und das Geröll ist locker, und dann noch zwanzig Meter runter, um die Kurve, und da liegt er: Der Silbersee. Heißt so, ich kann nichts dafür. Eigentlich eher ein Wasserloch, früher sind die Jungs darin geschwommen, als es noch kein Schwimmbad gab, Kurt hat davon erzählt, aber hat eben so einen erhabenen Namen. Und erhaben soll ja auch die Geschichte werden, die hier ihren Anfang nimmt. Der ganze Tümpel voller Entengrütze, einer schiebt eine Leiche da hinein, das Grüne teilt sich, und nach zwei Stunden ist alles wieder zu. So soll es losgehen. Jetzt muss ich nur noch anfangen.


Reiseziel: Abwaschmaschine

 

Los geht’s mit einem heftigen Bewässern. Von allen Seiten fliesst Wasser durch, rattern, saugen. Eingeweicht mit hängenden Schultern und eingezogenem Kopf komme ich kaum vom Fleck. Bin ich da in einer Dunkelkammer, oder eher in einer Säuberung?

Zum Glück klärt sich die Luft, doch nach der kleinen Hoffnung strömt eine Hitzewelle über mich. Bitte halte durch bete ich zu mir. Den Preis, welcher du kriegst, ist wunderbar!!

Schluss, Stille. Die Tür wurde sanft geöffnet und fast zärtlich werde ich blitz-blank, sogar steril. mit einer Hand aus meinem Ziel befreit.